… wenn der TV eine BV verlangt.

Ein Arbeitnehmer, in einem chemischen Betrieb in Schichtdient, klagte gegen seinen Arbeitgeber auf Gutschrift für die zum Umkleiden erforderliche Zeit. Die Arbeit erforderte das Tragen einer besonderen Schutzkleidung. Die Anforderungen daran und die Pflicht der Arbeitnehmer, die Schutzkleidung während der gesamten Schicht zu tragen, waren in einer BV geregelt.
Öffnungsklausel im TV Im MTV für die chemische Industrie fand sich lediglich eine Regelung, dass diese Frage auf Ebene einer BV geregelt werden könne. Im Betrieb wurde aber keine BV zur Regelung der Umkleidezeiten abgeschlossen.

Keine BV

Der Arbeitnehmer war der Auffassung, dass die Umkleidezeiten vergütungspflichtig sein. Die Regelung im MTV würde die Frage des »Ob« hinsichtlich der Vergütungspflicht nicht in das Ermessen der Betriebsparteien stellen. Lediglich das »Wie« könne auf betrieblicher Eben geregelt werden. Der Arbeitgeber war hingegen der Auffassung, dass eine Vergütungspflicht nicht bestehen könne, solange es keine entsprechende BV gäbe. Der Arbeitnehmer erhob daraufhin eine Feststellungsklage, blieb jedoch bis in die letzte Instanz erfolglos.

Gesetz sieht Vergütungspflicht vor

Nach Auffassung des BAG bestand zwar grundsätzlich für die hier umstrittenen Umkleidezeiten eine gesetzliche Vergütungspflicht. Im vorliegenden Fall entfiele diese jedoch aufgrund der fehlenden BV.
Die Vergütungspflicht des Arbeitgebers ergab sich aus § 611 a Abs. 2 BGB. Dies hatte das BAG grundlegend im Jahr 2018 entschieden (BAG v. 25. 4.2018 – AZR 245/17).
Die Anlegung einer Berufskleidung ist danach eine vom Arbeitgeber verlangte sonstige Tätigkeit neben der Arbeitsleistung, die mit dieser unmittelbar zusammenhängt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer besonders auffällige Dienstkleidung tragen muss, an der er außerhalb seines Arbeitsverhältnisses kein feststellbares Interesse hat. Erst recht gilt dies für Kleidung, die die der Arbeitnehmer aus Schutzgründen während der Arbeit tragen muss.

In einem solchen Fall gilt nicht nur die reine Umkleidezeit, die für das An- und Ablegen der Kleidung erforderlich ist, als Arbeitszeit, sondern auch die gegebenenfalls im Betrieb erforderliche Wegezeit zu den Umkleideräumen etc.

Auch im vorliegenden Fall war die zu tragende Schutzkleidung ausschließlich fremdnützig. Die damit zusammenhängende Umkleidezeit war daher nach den gesetzlichen Vorgaben vergütungspflichtig. Allerdings setzt der TV diese gesetzliche Regelung wieder außer Kraft, so das BAG.

TV macht BV erforderlich

Das BAG war der Auffassung, dass die Vergütungspflicht der Umkleidezeiten eine entsprechende BV voraussetzt. Der TV mache nicht nur das »Wie«, sondern auch das »Ob« einer Vergütungspflicht von einer BV abhängig. (BAG v. 12.12.2018 – 5 AZR 124/18)

Folgen für die Praxis

Angesichts des relativ eindeutigen Wortlauts des TV war eine andere Entscheidung in dieser Sache kaum denkbar. Das Urteil des BAG lässt sich daher nur als Handlungsauftrag an den BR verstehen, zeitnah für eine BV mit einer Vergütungspflicht für die Umkleidezeiten zu sorgen.
Nach der jetzigen Konstruktion fallen die Rechte der Arbeitnehmer in dem betroffenen Betrieb jedenfalls hinter die gesetzlichen Ansprüche zurück. Wie oben ausgeführt, ergibt sich aus der noch jüngeren Rechtsprechung des BAG bereits nach den gesetzlichen Regelungen eine Vergütungspflicht für Umkleidezeiten, wie sie im hiesigen Betrieb anfallen.
Auch wenn keine tarifvertragliche Vorgabe den Betriebsparteien einen Regelungsspielraum eröffnet, kann der BR beim Thema Arbeitskleidung und Umkleidezeiten in der Regel mitbestimmen.

Die Frage der Pflicht zum Tragen einer Arbeitskleidung gehört zu den Fragen der Ordnung im Betrieb nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Ist die Umkleidezeit nach den zuvor genannten Kriterien Arbeitszeit, so ist ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG denkbar.