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2023 / Monat Februar

Muss ich nach Feierabend E-Mails lesen?

LAG Schleswig-Holstein meint: Nein!

In diesem Fall ging es um einen Notfallsanitäter und eine kurzfristige Dienstplanänderung für den Folgetag. Der Kläger war jedoch an diesem Tag weder telefonisch noch per SMS zu erreichen. Er meldete sich erst wieder zu seinem ursprünglich geplanten Dienstbeginn. Der Arbeitgeber wertete dieses Verhalten als unentschuldigtes Fehlen und erteilte dem Kläger eine Abmahnung.

Mit seiner Klage wehrt sich der Kläger gegen den Abzug von Stunden von seinen Arbeitszeitkonten und begehrt die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte. Das ArbG wies die Klage ab.

Das LAG gab der Klage statt. Es liegt kein unentschuldigtes Fehlen des Klägers vor, da die Beklagte nicht hat nachweisen können, dass dem Kläger die Mitteilung über die kurzfristige Änderung des Dienstplans zugegangen ist. Zwar ist davon auszugehen, dass die SMS auf dem Handy des Klägers eingegangen ist. Mit der Kenntnisnahme des Inhalts der SMS durfte der Arbeitgeber jedoch nicht vor 7:30 Uhr des Folgetages (dem planmäßigen Dienstbeginn des Klägers) rechnen. Denn der Kläger ist nicht verpflichtet, während seiner Freizeit eine dienstliche SMS aufzurufen, um sich über seine Arbeitszeit zu informieren und damit zugleich seine Freizeit zu unterbrechen. Beim Lesen einer SMS, mit der der Arbeitgeber sein Direktionsrecht im Hinblick auf Zeit und Ort der Arbeitsausübung konkretisiert, handelt es sich um Arbeitszeit. Der Kläger erbringt mit dem Lesen eine Arbeitsleistung.

In seiner Freizeit steht dem Kläger das Recht auf Unerreichbarkeit zu. Wie schon vom LAG Thüringen festgestellt (16.5.2018 – 6 Sa 442/17), gehört es zu den vornehmsten Persönlichkeitsrechten, dass ein Mensch selbst entscheidet, für wen er/sie in dieser Zeit erreichbar sein will oder nicht. (LAG Schleswig-Holstein v. 27.9.2022 – 1 Sa 39 öD/22)


Laptop für den Betriebsrat

Betriebsrat hat Beurteilungsspielraum

Die Betriebsratsvorsitzende und ihr Stellvertreter hielten sich häufig gleichzeitig im Betriebsratsbüro auf und seien gleichzeitig auf die Nutzung eines PCs angewiesen. Ihm, dem Betriebsrat, könne auch nicht zugemutet werden, Einigungsstellenverfahren mit von der Arbeitgeberin dafür zur Verfügung gestellten Tablets durchzuführen. Das Gericht: Gemäß § 40 Abs. 2 BetrVG könne der Betriebsrat die Zurverfügungstellung eines Laptops mit den von dem Arbeitsgericht bezeichneten Merkmalen und der angegebenen Software beanspruchen.

Die gerichtliche Kontrolle des betriebsrätlichen Begehrens sei auf die Prüfung beschränkt. Ob das verlangte Sachmittel aufgrund der konkreten betrieblichen Situation der Erledigung der gesetzlichen Aufgaben des Betriebsrats dient und dieser bei seiner Entscheidung nicht nur die Interessen der Belegschaft berücksichtigt, sondern auch berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rechnung getragen hat. Diene das jeweilige Sachmittel der Erledigung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben und halte sich die Interessenabwägung des Betriebsrats im Rahmen seines Beurteilungsspielraums, könne das Gericht die Entscheidung des Betriebsrats nicht durch seine eigene ersetzen.

Auch der Arbeitgeber könne dem Betriebsrat die Art der innerbetrieblichen Kommunikation nicht vorschreiben. Bei dem zugesprochenen Laptop handle es sich um Informations- und Kommunikationstechnik i.S.v. § 40 Abs. 2 BetrVG. Die Entscheidung des Betriebsrats für dieses Sachmittel halte sich im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums, da er den Laptop zur Erledigung seiner gesetzlichen Aufgaben benötige.

Kosten sind zuzumuten

Kosteninteressen der Arbeitgeberin stünden dem betriebsrätlichen Begehren nicht entgegen. Schließlich gehöre die Arbeitgeberin zu einer Unternehmensgruppe, die eigenen Angaben zufolge im Jahr 2021 einen Nettogewinn von insgesamt mehr als 3,2 Mrd. Euro erwirtschaftet habe. Auch wenn sie ggf. alle Betriebsräte in Deutschland entsprechend ausstatten müsste, seien ihr die Kosten trotz pandemiebedingter Umsatzrückgänge in Deutschland zuzumuten.

(LAG Köln, Beschluss vom 24.06.2022, 9 TaBV 52/21)


Schulung in Präsenz statt Webinar

LAG Düsseldorf sieht höheren Lerneffekt

Die Arbeitgeberin verweigerte die Übernahme der Schulungs-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten für ein BetrVG 1-Seminar. Sie meint in erster Linie, dass die beiden Mitglieder der Personalvertretung an einem kostengünstigeren Webinar mit identischem Schulungsinhalt hätten teilnehmen können, zumal dann keine Übernachtungs- und Verpflegungskosten angefallen wären. Es hätte im maßgeblichen Zeitraum zudem im näheren Einzugsgebiet kostengünstigere Präsenzseminare gegeben. Die PV meint, sie müsse sich nicht auf ein Webinar verweisen lassen. An näheren Orten gehaltene Präsenzseminare wären u.a. wegen Urlaub nicht in Betracht gekommen. Die PV begehrt, die Arbeitgeberin zu verpflichten, sie von den Schulungs-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten für das Seminar in Potsdam freizustellen.

Gemäß § 40 Abs. 1 BetrVG hat die Arbeitgeberin die Kosten zu tragen, die anlässlich der Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds an einer Schulungsveranstaltung nach § 37 Abs. 6 BetrVG entstanden sind, sofern das bei der Schulung vermittelte Wissen für die Betriebsratsarbeit erforderlich ist. Dies ist hier inhaltlich zu bejahen.

Auf ein Webinar anstelle einer Präsenzveranstaltung musste die PV sich nicht verweisen lassen. Bei der Prüfung der Erforderlichkeit hat sie die betriebliche Situation und die mit dem Besuch der Schulungsveranstaltung verbundenen finanziellen Belastungen der Arbeitgeberin zu berücksichtigen. Allerdings ist ihr bei der Seminarauswahl ein Beurteilungsspielraum zuzugestehen. Nur wenn mehrere gleichzeitig angebotene Veranstaltungen nach Ansicht der PV innerhalb dieses Beurteilungsspielraums als qualitativ gleichwertig anzusehen sind, kommt eine Beschränkung der Kostentragungspflicht der Arbeitgeberin auf die Kosten des preiswerteren Seminars in Betracht. Es hält sich derzeit innerhalb des Beurteilungsspielraums der PV, wenn sie selbst ein inhaltlich gleiches Webinar mit einer entsprechenden Präsenzveranstaltung nicht für qualitativ vergleichbar erachtet.

Lerneffekt höher

Die Einschätzung der PV, dass der „Lerneffekt“ im Rahmen einer Präsenzveranstaltung deutlich höher ist als bei einem Webinar, ist nicht zu beanstanden. Ein Austausch und eine Diskussion über bestimmte Themen sind bei einem Webinar in weitaus schlechterem Maße möglich als bei einer Präsenzveranstaltung. Insoweit stellt sich das Webinar eher als „Frontalunterricht“ dar, was wohl auch daran liegen dürfte, dass die Hemmschwelle, sich online an Diskussionen zu beteiligen, weitaus höher ist, als bei einem Präsenzseminar.
(LAG Düsseldorf v. 24.11.2022 – 8 TaBV 59/21)


Energiekrise und Mitbestimmung des Betriebsrats

Einige praktische Hinweise

Mit der „Verordnung zur Sicherung der Energieversorgung über kurzfristig wirksame Maßnahmen“ (EnSikuMaV) ist vorgegeben, die Raumtemperaturen bei sitzenden Tätigkeiten von +20oC auf 19oC abzusenken, bei Arbeiten im Stehen, Gehen von +19 auf +18 (ausgenommen medizinische Einrichtungen, Pflegeeinrichtungen, Kindertagesstätten). Werden diese Mindestwerte nicht erreicht, sind mit Zustimmung des Betriebsrates weitere Maßnahmen zu treffen (Radiatoren, Aufwärmzeiten, Fleecejacken oder Decken). Maßnahmen zur Verringerung der Belastung bei Hitze oder Kälte sind gem. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG mitbestimmungspflichtig.
Ob auch eine Verpflichtung zum Angebot auf Home-Office besteht, ist umstritten, wird aber im Fall, dass sonst kein adäquater Arbeitsplatz nach Arbeitsschutzbestimmungen angeboten werden kann, zu bejahen sein.

Wenn das Gas ausbleibt…
In einem möglichen Horror-Szenario, z.B. eines „Black Outs“ geht es um die rechtlichen Fragen von Betriebs- und Wirtschaftsrisiko. Kann keine Arbeit geleistet werden, trägt gem. § 615 S. 3 BGB der Arbeitgeber das Risiko, die Arbeitnehmer weiter bezahlen zu müssen. Dies gilt jedenfalls, soweit nicht, wie in der Corona-Pandemie behördliche Betriebsschließungen erfolgen.
Sollte die Dramatik zunehmen, ist ebenso an Kurzarbeit oder Betriebsferien zu denken. Hier besteht ein vollständiges Mitbestimmungsrecht. Würde z.B. der „Notfallplan Gas“ ausgerufen, sind Voraussetzungen zum Anspruch auf Kurzarbeitergeld („unabwendbares Ereignis“) erfüllt.



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