Die überraschende Begründung des BAG
Die Arbeitszeiten erfassen zu müssen, stand eigentlich schon seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 14.05.2019 fest. Getan hat sich allerdings in vielen Betrieben wenig. Ein Betriebsrat versuchte nun in einem Beschlussverfahren
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Arbeitsrechtliche Nachlese „Corona“
unterschiedliche Urteile zum „Annahmeverzug“
Eine im Rahmen der Bekämpfung einer Pandemie – wie derjenigen der Corona-Pandemie – hoheitlich angeordnete (vorübergehende) Betriebsschließung gehört nicht zu dem vom Arbeitgeber nach § 615 Satz 3 BGB zu tragenden Betriebsrisiko. (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 4. Mai 2022 – 5 AZR 366/21). In diesen Fällen ging es aber um die behördliche Verfügung, alle Kultur- und Spielstätten schließen zu müssen.
Vertrauensarbeitszeit ade – alle Arbeitszeiten müssen erfasst werden
2022-09-26 – BAG zur Zeiterfassung
Mit der Entscheidung des Bundesarbeitsgericht (BAG) vom 26.09.2022 (teilweise als „Paukenschlag“ bezeichnet) ist die Pflicht für alle Arbeitgeber festgestellt worden, Arbeitszeiten erfassen zu müssen. Die Verpflichtung folgt aus dem Gesundheitsschutz. Wir stellen in unserem Webinar die Entwicklung hin zu dieser Entscheidung heraus und zeigen Betriebsräten auf, wie jetzt zu verfahren ist.
Fachanwälte für Arbeitsrecht Ronald Billepp und Wolfgang Steen
Rechtsanwälte Gaidies Heggemann & Partner, Hamburg
Betriebliche Altersversorgung – keine doppelte Kürzung
Wer eine Betriebsrente vorzeitig in Anspruch nimmt, muss nicht mit einer doppelten Kürzung rechnen. Eine solche könnte sich daraus ergeben, den Anspruch zeitanteilig zu kürzen (Verhältnis der fiktiven zur tatsächlichen Betriebszugehörigkeit) und anschließend z.B. um 0,5 % pro Monat zu reduzieren. Das Bundesarbeitsgericht verweist immer wieder auf das Verbot dieser doppelten Kürzung (außer dies wäre in einem Tarifvertrag vorgesehen).
Nur Kürzung nach Anteil der Beschäftigungszeit
Wenn Mitarbeiter vor Eintritt des Versorgungsfalls mit unverfallbarer Anwartschaft ausscheidet, wird im Versorgungsfall nur derjenige Teil der Rente als Versorgungsleistung gezahlt wird, der dem Verhältnis der Dauer der tatsächlichen Betriebszugehörigkeit zu der Zeit vom Beginn der Betriebszugehörigkeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres entspricht (wenn das 65. Lebensjahr als Anspruch vereinbart ist). Die Berechnung hat dann wie folgt zu erfolgen: In einem ersten Schritt ist damit die fiktive Vollrente des Arbeitnehmers zu ermitteln. Diese fiktive Vollrente ist im Verhältnis von tatsächlich erbrachter Dienstzeit zu erreichbarer Dienstzeit zu kürzen. Die danach ermittelte monatliche Altersrente ist für jeden Monat des vorzeitigen Rentenbezugs nach den Bestimmungen der Versorgungsordnung (im entschiedenen Fall: um 0, 5 vH ihres Werts, höchstens jedoch um zwölf vH) zu kürzen. Das bedeutet, es muss immer zunächst die hypothetische Vollrente ermittelt werden (die mit 65 zu erreichen wäre) und erst dann setzen die Kürzungen ein. (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 2. Dezember 2021 – 3 AZR 123/21)
Wolfgang Steen, Fachanwalt für Arbeitsrecht
Rechtsanwälte Gaidies Heggemann & Partner, Hamburg
Schulungsanspruch für Betriebsräte
Betriebsratsmitglieder (nicht nur neu Gewählte) haben Anspruch auf Schulungen, wenn das Gremium es so entscheidet. Grundkenntnisse im Betriebsverfassungs- und Arbeitsrecht sind immer erforderlich, auch im Bereich Arbeitsschutzrecht. Gesetzliche Grundlage ist der § 37 Abs. 6 BetrVG.
Worauf ist zu achten?
Gleicher Stundenlohn für Teilzeitbeschäftigte
Unterschied zwischen 12,- und 17,- Euro/Std.
In dem Fall vor dem Landesarbeitsgericht München war der als „geringfügig“ tätige Rettungsassistent keinen festen Schichtplan zugeordnet und konnte sich selbst für Einsätze anmelden. Er hatte auch die Möglichkeit, etwaige Einsatzanfragen auch abzulehnen.
Die in Vollzeit beschäftigten Arbeitnehmer hingegen arbeiteten in einem Schichtplan. Sie konnten sich die Termine nicht selbst aussuchen und ihre Dienste
Sind alle Arbeitsverträge anzupassen?
Neuregelungen im Nachweisgesetz ab 01. Aug. 2022
Bedeutung für die Betriebsratsarbeit hat die Neufassung des NachwG schon. Bestehende Muster-Arbeitsverträge müssen ggf. angepasst werden. Hier hat der BR Anspruch auf Aushändigung. Das Gesetz gilt ebenso für Aushilfen und Abrufarbeit.
Unklar ist noch, ob wegen der Pausen und Ruhezeiten nur schlicht auf das Arbeitszeitgesetz verwiesen werden kann. „Feste“ Pausenzeiten sind nicht mehr die Regel. In einer Betriebsvereinbarung kann aber z.B. ein übliches Pausenfenster vereinbart sein.
Überschüsse einer Pensionskasse – Betriebsrentenanpassung
Wie Überschüsse (oder auch Unterdeckungen) einer Pensionskasse aufzuteilen sind, war Gegenstand einer Klage vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG). Kurz gesagt: Eine Verteilung von Überschüssen erfolgt nicht als individuelle Zuordnung.
Matrixstruktur – die notwendige Eingliederung in den Betrieb
Die Arbeitsgerichte haben sich dem Thema der Matrixstrukturen angenommen und hierzu u.a. auch für internationale Konzern grundsätzlich entschieden (siehe BAG v. 26.05.2021 – 7 ABR 17/20 – unser Beitrag unten). Aber ein Fall vor dem Landesarbeitsgericht Kiel zeigt: Es kommt auf die Details an. In dem Fall ging es um Software-Entwickler, die am Standort arbeiteten, allerdings keinen direkten Arbeitsvertrag mit dem dortigen Arbeitgeber hatten. Geführt wurden die Entwickler (angestellt über eine Drittfirma) von einem Manager, der
Pausen durchgearbeitet – keine Bezahlung
Bundesarbeitsgericht verteilt Beweislast neu
Seine Arbeitszeit erfasst er mittels technischer Zeitaufzeichnung, wobei nur Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, nicht jedoch die Pausenzeiten aufgezeichnet wurden. Zum Ende des Arbeitsverhältnisses ergab die Auswertung der Zeitaufzeichnungen einen positiven Saldo von 348 Stunden zugunsten des Klägers. Mit seiner Klage hat der Kläger eine Überstundenvergütung in Höhe von 5.222,67 Euro brutto verlangt. Er hat geltend gemacht, er habe die gesamte aufgezeichnete Zeit gearbeitet. Pausen zu nehmen sei nicht möglich gewesen, weil sonst die Auslieferungsaufträge nicht hätten abgearbeitet werden können. Die Beklagte hat dies bestritten.
Das Arbeitsgericht Emden hat der Klage stattgegeben.
Es hat gemeint, durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 14. Mai 2019, wonach die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten müssen, ein objektives, verlässliches und zugängliches Arbeitszeiterfassungssystem einzuführen, werde die Darlegungslast im Überstundenvergütungsprozess modifiziert. Die positive Kenntnis von Überstunden als eine Voraussetzung für deren arbeitgeberseitige Veranlassung sei jedenfalls dann nicht erforderlich, wenn der Arbeitgeber sich die Kenntnis durch Einführung, Überwachung und Kontrolle der Arbeitszeiterfassung hätte verschaffen können. Ausreichend für eine schlüssige Begründung der Klage sei, die Zahl der geleisteten Überstunden vorzutragen. Da die Beklagte ihrerseits nicht hinreichend konkret die Inanspruchnahme von Pausenzeiten durch den Kläger dargelegt habe, sei die Klage begründet.
Das sah das BAG anders…
…und meinte, die Rechtsprechung des EuGH beschränke sich darauf, Aspekte der Arbeitszeitgestaltung zu regeln, um den Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten. Sie sollten indes grundsätzlich keine Anwendung auf die Vergütung der Arbeitnehmer finden. Die unionsrechtlich begründete Pflicht zur Messung der täglichen Arbeitszeit hat deshalb keine Auswirkung auf die nach deutschem materiellen und Prozessrecht entwickelten Grundsätze über die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess. Hiervon ausgehend hat das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen, der Kläger habe nicht hinreichend konkret dargelegt, dass es erforderlich gewesen sei, ohne Pausenzeiten durchzuarbeiten, um die Auslieferungsfahrten zu erledigen. Die bloße pauschale Behauptung ohne nähere Beschreibung des Umfangs der Arbeiten genügt hierfür nicht. Das Berufungsgericht konnte daher offenlassen, ob die von der Beklagten bestrittene Behauptung des Klägers, er habe keine Pausen gemacht, überhaupt stimmt. (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 4. Mai 2022 – 5 AZR 359/21)
Übersetzt heißt das: Selbst die Daten aus dem Zeiterfassungssystem sind nicht ausreichend. Der Kläger hätte Buch führen müssen darüber, warum er wegen bestimmter Aufträge keine Pausen hat nehmen können.
Fachanwalt für Arbeitsrecht Wolfgang Steen
Rechtsanwälte Gaidies Heggemann & Partner, Hamburg
Kann die konstituierende Betriebsratssitzung digital stattfinden?
Pausen durchgearbeitet – keine Bezahlung
Wer Pausen „durcharbeitet“ muss damit rechnen, diese Zeit nicht bezahlt zu bekommen. In einem Fall, den jetzt das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden hat, nützten selbst die Stundenaufzeichnungen des Klägers nicht, seine Bezahlung durchzusetzen. Der Kläger war als Auslieferungsfahrer bei der
Keine Krankenrückkehrgespräche, sondern BEM
Immer wieder kommt es zu Streitfällen, ob ein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) erforderlich ist oder nicht. Arbeitgeber berufen sich teilweise auf Krankenrückkehr- oder Fehlzeitengespräche, die gezeigt hätten, ein bEM-Verfahren sei entbehrlich. In einer Entscheidung des LAG Rheinland-Pfalz wurde hierzu jetzt klargestellt: ein Fehlzeitengespräch ersetzt nicht das notwendige bEM-Verfahren, weil es komplexer und anspruchsvoller ist (LAG Rheinland-Pfalz v. 13.04.2021 – 8 SA 240/20).
Widerruf Home-Office – mitbestimmungspflichtig nach § 99 BetrVG
Wenn die aktuelle Home-Office-Pflicht (voraussichtlich) ab 20. März 2022 ausläuft, stellt sich für Betriebsräte die Frage, ob nicht ein Widerruf im Einzelfall der Mitbestimmung unterliegt. Entscheidungen zu § 99 BetrVG gibt es schon für die Versetzung ins Home-Office. Zu einem Widerruf
Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten – Betriebsänderung nach § 112a BetrVG
Aufgaben im Betriebsrat delegieren
Nicht nur in größeren Gremien macht es Sinn, Aufgaben des Betriebsrates auf Ausschüsse oder Projektgruppen zu delegieren. Dies erleichtert die Bewältigung der vielfältigen Aufgaben und sichert eine effektive Interessenvertretung.
Die späte Heirat des Betriebsrentners
Wer vorzeitig aus dem Betrieb ausscheidet, aber schon einen Anspruch auf Betriebsrente erworben hat, behält diesen Anspruch – anteilig. Die Anwartschaft bleibt erhalten. Was aber, wenn der Betriebsrentner noch vor der Inanspruchnahme verstirbt, aber nach Ausscheiden aus der Firma geheiratet hat? In einem Fall vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) musste nun geklärt werden, ob auch diese spät verheiratete Witwe ebenfalls Anspruch hatte. Das BAG gab ihr recht.
Wenn der inzwischen Verstorbene zu diesem Zeitpunkt
Entgeltumwandlung: Zuschuss auch bei Altverträgen zur Betriebsrente
Ab dem 1.1.2022 müssen Arbeitgeber, wenn Beschäftigte einen Teil ihres Lohns oder Gehalts in eine Betriebsrente umwandeln, immer die ersparten Sozialversicherungsbeiträge, max. 15 Prozent, zugunsten der Beschäftigten an die Versorgungseinrichtung (Pensionskasse, Pensionsfonds oder Direktversicherung) weiterleiten. Bisher galt diese Verpflichtung nur bei Entgeltumwandlungen, die ab dem 1.1.2019 neu abgeschlossen worden sind. Diese Regelungen sind tarifdispositiv, d.h. von ihnen kann in Tarifverträgen zugunsten oder zulasten der Beschäftigten abgewichen werden.
Betriebsrat-Wahl 2020: keine Online-Wahl möglich
Natürlich stellt sich in Corona-Zeiten die Frage, ob nicht die nächste Betriebsrat-Wahl „generell“ als Online-Wahl durchgeführt werden kann. Die eindeutige Antwort: Nein. Eine solche Form sieht die Wahlordnung nicht vor. In einem Fall vor
Betriebsrats-Sitzung – präsent, digital oder hybrid?
Während der ersten Lockdowns hatte der Gesetzgeber den Betriebsräten gem. § 129 BetrVG befristet die Durchführung digitaler Sitzungen ermöglicht. Zwischenzeitlich liefert das sog. Betriebsrätemodernisierungsgesetzes die Möglichkeit, virtuelle Betriebsratssitzungen dauerhaft durchzuführen. Aber gilt dies auch für Hybrid-Sitzungen?