Frische BRise - Podcasts zum Thema Arbeitsrecht
Skurrile Fälle im Arbeitsrecht 2019
Die Terrassentür der Betriebskantine und die Mitbestimmung des Betriebsrats
Die Öffnungszeiten einer Terrassentür der Betriebskantine während der Betriebszeiten unterliegen der Mitbestimmung des BR.
In dem vom ALG Düsseldorf entschiedenen Fall betreibt der AG u.a. ein Theater. In dessen Erdgeschoss befindet sich eine Betriebskantine, die von den Arbeitnehmern, nicht aber vom Publikum, genutzt werden kann. Von der Kantine führt eine Tür auf eine ca. 50 bis 70 qm große Außenterrasse. Auf dieser hatte der AG seit mehreren Jahren von April bis Oktober Tische und Stühle aufgestellt. In der Vergangenheit war die Terrasse vom angrenzenden Stadtpark aus für jedermann zugänglich. Nachdem im November 2017 40 Studenten vom Stadtpark in die Kantine und von dort in die sonstigen Räume des Theaters gelangt waren, forderte der BR den Arbeitgeber auf dafür zu sorgen, dass solche Vorfälle künftig nicht mehr vorkommen. In der Folgezeit wurde die Terrassentür auf Veranlassung des technischen Leiters des Arbeitgebers abgeschlossen. Dem widersprach der BR und reklamierte ein Mitbestimmungsrecht. Am 29.03.2018 ließ der Arbeitgeber die Terrassentür wieder öffnen, nachdem die Zugangsmöglichkeit vom Stadtpark durch eine nur von innen zu öffnender Tür nicht mehr gegeben war.
Der BR hat verlangt, dem Arbeitgeber aufzugeben, das Abschließen der Terrassentür zur Kantine ohne seine Zustimmung zu unterlassen. Dieser Antrag hatte vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf anders als zuvor vor dem Arbeitsgericht Essen keinen Erfolg.
Festlegung der Öffnungszeiten
Allerdings geht das LAG Düsseldorf ebenso wie das ArbG davon aus, dass die Terrasse Teil der Sozialeinrichtung Kantine ist. Bei der Festlegung der Öffnungszeiten einer Sozialeinrichtung und damit auch der Terrasse besteht ein Mitbestimmungsrecht des BR aus § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG. Der Unterlassungsantrag konnte aber betreffend die Zeiten außerhalb von im Wesentlichen 1,5 Stunden nach Vorstellungsende bis 09.00 Uhr morgens, d.h. nachts, keinen Erfolg haben. Die Betriebsparteien hatten sich für diese Zeiten inzwischen geeinigt, dass die Terrassentür abgeschlossen bleibt. Unabhängig davon konnte der Unterlassungsanspruch nur eine mitbestimmungswidrige Einschränkung der bisherigen Terrassennutzungszeit sichern. Diese war im Winter anders als im Sommer. Die Terrassentür war im Winter geschlossen und wurde je nach Wetterlage geöffnet. Nur darauf hätte der Unterlassungsanspruch derzeit gerichtet sein können. Dies ließ indes nicht mit der für einen gerichtlichen Beschluss hinreichenden Klarheit abgrenzen.
Vorsicht bei Globalanträgen
Der Unterlassungsantrag war als Globalantrag deshalb derzeit unbegründet. Das LAG hat im Termin auf die genannten Aspekte hingewiesen und einen Vergleichsvorschlag unterbreitet, der die Öffnungszeiten der Terrasse außerhalb der vereinbarten Nachtschließungszeiten vorsah, vorausgesetzt, in der Kantine war ein Bediensteter anwesend. Nachdem dieser Vergleich nicht zustande kam, hat das LAG entschieden und den Unterlassungsantrag aus den oben genannten Gründen zurückgewiesen. (LAG Düsseldorf, 12 TaBV 37/18)
30 Jahre nach der Wende – „Mobbing“ wegen ostdeutscher Herkunft?
Die Herabwürdigung eines Arbeitnehmers wegen seiner ostdeutschen Herkunft stellt keine Benachteiligung im Sinne des § 1 AGG wegen der ethnischen Herkunft oder Weltanschauung dar.
Dies entschied jetzt das ArbG Berlin auf die Klage eines Arbeitnehmers, der von einem Zeitungsverlag als stellvertretender Ressortleiter beschäftigt wurde. Er hat den AG auf Entschädigung, Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch genommen, weil er von zwei vorgesetzten Arbeitnehmern wegen seiner ostdeutschen Herkunft stigmatisiert und gedemütigt worden sei. Das ArbG Berlin wies die Klage ab. Dem Arbeitnehmer stehe eine Entschädigung nach dem AGG nicht zu, weil eine Benachteiligung wegen seiner ethnischen Herkunft oder Weltanschauung nicht erfolgt sei. Menschen ostdeutscher Herkunft seien nicht Mitglieder einer ethnischen Gruppe oder Träger einer einheitlichen Weltanschauung.
Einen Schadensersatzanspruch wegen einer Persönlichkeits- oder Gesundheitsverletzung hat das ArbG abgelehnt, weil der Arbeitnehmer den AG nicht rechtzeitig auf das Verhalten seiner Vorgesetzten und die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens – es waren ca. 800.000,00 € im Streit – aufmerksam gemacht hatte. Das Mitverschulden des Arbeitnehmers an dem – einmal angenommenen – Schaden wiege derart schwer, dass eine Ersatzpflicht des AG entfalle. (ArbG Berlin vom 15.08.2019, 44 Ca 8580/18)
Verbot Benachteiligung von Teilzeitkräften (Altersfreizeit)
Anspruch ab 57. Lebensjahr
Dies ist der Fall. Nach dem Manteltarifvertrag der Chemischen Industrie haben Vollzeitbeschäftigte, deren wöchentliche Arbeitszeit 37, 5 Stunden beträgt, Anspruch auf eine zweieinhalbstündige Altersfreizeit je Woche, wenn sie das 57. Lebensjahr vollendet haben. Es besteht nicht nur ein Freistellungsanspruch, sondern auch der Anspruch auf Gehaltszahlung für die ausgefallene Zeit. Teilzeitkräften wird eine solche Leistung nicht gewährt, auch nicht anteilig.
Das BAG sieht hierin eine unzulässige Benachteiligung von Teilzeitkräften, auch wenn Tarifvertragsparteien an sich darin frei sind, den Zweck einer tariflichen Leistung zu bestimmen. Wenn allerdings eine Tarifnorm gegen das gesetzliche Verbot verstößt (§ 4 TzBfG), ist sie nichtig. Das BAG hält hier den Tarifparteien vor, zu Unrecht die Teilzeitkräfte von der Vergünstigung ausgenommen zu haben. „Die Gewährung bezahlter Altersfreizeit dient der Entlastung älterer Arbeitnehmer durch eine Reduzierung ihrer wöchentlichen Arbeitszeit. Ausgegangen wird von einer mit zunehmendem Alter sinkenden Belastbarkeit und infolgedessen von einem gesteigerten Erholungsbedürfnis der Arbeitnehmer die das 57. Lebensjahr vollendet haben.“ Diese Vergünstigung ist auch Teilzeitkräften zu gewähren. (BAG vom 23.07.2019, 9 AZR 372/18)
„Personalplanung“ (§ 92 BetrVG) ist weit auszulegen
BAG stellt Grundsätze klar
… in quantitativer und qualitativer Hinsicht und dessen Deckung in zeitlicher und örtlicher Hinsicht, also auf den abstrakten Einsatz der personellen Kapazität im weitesten Sinn, bezieht, und betrifft daher Kategorien wie die Personalbedarfsplanung, die Personaldeckungsplanung, die Personalentwicklungsplanung und die Personaleinsatzplanung. Im allgemeinen Sinn meint „Planung“ den Prozess des Festlegens von Zielen und des Formulierens von Methoden, Strategien und Vorgehensweisen, um diese zu erreichen. Das BAG verweist auch auf die Gesetzesbegründung: Nach dem Willen des Gesetzgebers soll sichergestellt werden, dass „der BR bereits zu einem möglichst frühen Zeitpunkt über die personelle Situation des Betriebs und deren Entwicklung umfassend anhand von Unterlagen unterrichtet wird und mit ihm die Maßnahmen sowie die Vorsorge zur Vermeidung von Härten für die Arbeitnehmer beraten werden“. Die Mitwirkung soll „bei den allgemeinen personellen Grundsatzentscheidungen, die die Grundlagen für personelle Einzelentscheidungen bilden, eingeräumt“ werden, weil „hiervon … eine bessere Objektivierung und bessere Durchschaubarkeit sowohl der allgemeinen Personalwirtschaft als auch der personellen Einzelentscheidungen erwartet werden“ kann. (Bundestag-Drucksache, VI/1786 S. 50)
Vorschlagsrecht
Nach § 92 Abs. 2 BetrVG kann der BR dem AG Vorschläge für die Einführung einer Personalplanung und deren Durchführung machen. Hierzu gehören auch solche zur Änderung einer bestehenden und vom AG praktizierten Personalplanung.
Der Fall:
In einem Unternehmen der Automobilindustrie mit ca. 14.000 Arbeitnehmern in der Zentrale (Vorinstanz: LAG Baden-Württemberg), wollte der BR Auskunft über die tarifliche Eingruppierung sämtlicher Arbeitnehmer, da die Entgelte als „Steuerungsgrößen“ für sog. Musterbetriebe angewandt wurden und sich daraus die künftige Personalbemessung ergibt. Das lehnte das BAG allerdings mit der Begründung ab, der BR habe keinen Anspruch, neben dem AG eine „originäre“ Personalplanung durchzuführen – (BAG vom 12.03.2019, 1 ABR 43/17). Was bleibt sind die Grundsätze zur Beteiligung bei der Personalplanung, die viel weitergehend sind, als sie in der Praxis tatsächlich stattfinden.
BR-Beteiligung im BEM-Verfahren ist zwingend
Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten sind zu prüfen
In dem Fall stritt eine Flugbegleiterin über ihre Flugdiensttauglichkeit. Mit deren Verlust würde das Arbeitsverhältnis automatisch (gemäß Tarifvertrag) enden. Dies gilt nicht, wenn Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten bestehen, wozu die Klägerin bereit war. Es hatte zwar, nach sechswöchiger Krankheit, ein Gespräch mit ihr stattgefunden, aber ohne Beteiligung des zuständigen Personalrates und ohne Belehrung, dass es sich evtl. um ein BEM-Gespräch gehandelt hätte. Das ArbG entschied zu Gunsten der Klägerin und wies darauf hin, bei einem Streit über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses treffe den AG eine gesteigerte Darlegungslast im Hinblick auf das Fehlen von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten. Genau diese hätten in einem ordnungsgemäßen BEM-Verfahren ermittelt werden können.
„Einstellungen“ in einer Matrixorganisation
BR-Zuständigkeit auch bei ‚fremd‘-geführten Arbeitnehmern
Die Mitbestimmungsfragen hierzu stecken quasi noch in den Kinderschuhen, interessant ist hingegen, dass selbst das BAG jetzt eine erweiterte Zuständigkeit des BR anerkannt hat. In dem beinah klassischen Fall ging es um die Einstellung einer Führungskraft, des Herrn T, in der Zentrale Z mit Führungsverantwortung für insgesamt rd. 50 Arbeitnehmer am Standort R. In beiden Betriebsstätten sind BR gewählt. In der Zentrale war der Arbeitsplatz zuvor ausgeschrieben worden, in der Betriebsstätte R nicht. Beide BR wurden zur Einstellung nach § 99 BetrVG angehört, was vom BAG als sachlich richtig hervorgehoben wurde. Der BR in R widersprach der Einstellung wegen fehlender Ausschreibung. Letztlich stimmte aber das BAG der Einstellung zu, weil es nur eine Ausschreibung in der Zentrale für erforderlich hielt. (BAG vom 12.06.2019, 1 ABR 5/18)
Die Entscheidung hat grundsätzliche Bedeutung, weil ausdrücklich die Zuständigkeit beider BR festgestellt wurde. Es kam hier nur darauf an, dass Herr T die Abteilung in R „führt“, also eine Bindung der dortigen Arbeitnehmer an Weisungen einer „Führungskraft“, unabhängig wie viel Zeit dies in Anspruch nimmt.
Betriebsratvergütung: Freischicht plus Freizeitausgleich für Betriebsratssitzung
Das „Freizeitopfer“ von BR-Mitgliedern soll entschädigt werden
In dem jetzt entschiedenen (typischen) Fall ging es um ein BR-Mitglied, der in vollkontinuierlicher Wechselschicht (Frühschicht-Spätschicht-Nachtschicht-Freiwoche) beschäftigt ist. Bisher hatte der AG ihn am letzten Tag der Nachtschicht für acht Stunden bezahlt von der Arbeitsleistung freistellte, wenn am ersten Tag der Freiwoche eine BR-Sitzung stattfand.
Unwirksame Versetzung und Schadenersatz
Die Versetzung eines Metallbaumeisters vom Betriebssitz in Hessen nach Sachsen „für mindestens 2 Jahre, ggf. auch länger“, führte zu einem Grundsatzstreit. Die Arbeitsgerichte hielten eine solche „Versetzung“ für unzumutbar. Da der Kläger allerdings der Versetzung nachkam, ging es jetzt um den Streit der Fahrtkosten-Erstattung.
BR-Vergütung: Freischicht plus Freizeitausgleich für BR-Sitzung
Das „Freizeitopfer“ von BR-Mitgliedern soll entschädigt werden
Die Frage stellt sich immer wieder: Kann ein BR-Mitglied bei Ausfall einer Schicht (wegen einer BR-Sitzung) neben der Bezahlung der Freischicht auch die Bezahlung für die BR-Sitzung verlangen. Das BAG meint jetzt: ja. Das persönliche „Freizeitopfer“ muss entschädigt werden.
Neue Entscheidungen zur Arbeitszeit (Stand Oktober 2019)
Themen u.a:
- Was ist Arbeitszeit?
- BAG:Vergütung von Reisezeiten
- EUGH: Erfassung der Arbeitszeiten
- Arbeitszeiten des BR
- Schlussfolgerungen für die BR-Arbeit
Ansprüche und Rechte von Betriebsräten § 37 38 BetrVG (Stand Sep. 2018)
Themen u.a.:
- Ehrenamtsprinzip
- Arbeitsbefreiung
- Freistellung
- Berufliche Entwicklung
- Entgeltgarantie
- Schulungsanspruch
Verbot Benachteiligung von Teilzeitkräften (Altersfreizeit)
Teilzeitkräfte dürfen nicht aufgrund ihrer Teilzeitbeschäftigung benachteiligt werden. Dieses Diskriminierungsverbot ist ausdrücklich gesetzlich festgeschrieben (§ 4 Teilzeit- und Befristungsgesetz). Dennoch gibt es immer wieder Fälle, in denen eine solche Ungleichbehandlung festzustellen ist – oft auch in Tarifverträgen. In einem neuen Urteil des Bundesarbeitsgerichts wurde jetzt eine Klausel zur tariflichen Altersfreizeit darauf geprüft, ob nicht eine Diskriminierung von Teilzeitkräfte vorliegt. Dies ist der Fall. Nach dem Manteltarifvertrag der Chemischen Industrie haben Vollzeitbeschäftigte, deren wöchentliche Arbeitszeit 37, 5 Stunden beträgt, Anspruch auf eine zweieinhalbstündige Altersfreizeit je Woche, wenn sie das 57. Lebensjahr vollendet haben. Es besteht nicht nur ein Freistellungsanspruch, sondern auch der Anspruch auf Gehaltszahlung für die ausgefallene Zeit. Teilzeitkräften wird eine solche Leistung nicht gewährt, auch nicht anteilig.
Das Bundesarbeitsgericht sieht hierin eine unzulässige Benachteiligung von Teilzeitkräften, auch wenn Tarifvertragsparteien an sich darin frei sind, den Zweck einer tariflichen Leistung zu bestimmen. Wenn allerdings eine Tarifnorm gegen das gesetzliche Verbot verstößt (§ 4 TzBfG) ist sie nichtig. Das BAG hält hier den Tarifparteien vor, zu Unrecht die Teilzeitkräfte von der Vergünstigung ausgenommen zu haben. „Die Gewährung bezahlter Altersfreizeit dient der Entlastung älterer Arbeitnehmer durch eine Reduzierung ihrer wöchentlichen Arbeitszeit. Ausgegangen wird von einer mit zunehmendem Alter sinkenden Belastbarkeit und infolgedessen von einem gesteigerten Erholungsbedürfnis der Arbeitnehmer aus, die das 57. Lebensjahr vollendet haben.“ Diese Vergünstigung ist auch Teilzeitkräften zu gewähren. (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 23. Juli 2019 – 9 AZR 372/18)
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Juve Handbuch Kanzleien 2018/2019 – Arbeitnehmervertretung
Auch im JUVE Handbuch der nationalen Kanzleien sind wir 2018/19 wieder als Empfehlung für Anwälte in der Arbeitnehmervertretung hervorgehoben worden. Ausdrücklich genannt wurden dort unsere Kollegen Ignatz Heggemann und Carsten Lienau. Auch unsere Partner-Kanzleien in Düsseldorf und München erhielten diese besondere Empfehlung. Dieses „Ranking“ wird durch Befragung innerhalb der Anwaltschaft erstellt und stellt eine besondere Auszeichnung der Kompetenz und erfolgreichen Arbeit dar.
„Arbeitsunfall“ im Home Office
Welche Fälle sind versichert?
Nach alter Rechtslage gab es immer wieder Probleme wie diese: Eine Arbeitnehmerin stürzt auf dem Weg zu ihrem Home-Office auf der häuslichen Treppe. Der Unfallversicherungsträger lehnt die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab, weil auf Treppen zwischen privat und geschäftlich genutzten Räumen kein Versicherungsschutz besteht. Der Gesetzgeber hat nun reagiert. Nach dem neuen § 8 Abs. 1 Satz 3 SGB VII besteht im Home office im selben Umfang unfallversicherungsrechtlicher Schutz wie in der Betriebsstätte.
Zudem gilt gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2a SGB VII als versicherte Tätigkeit auch ein Unfall auf dem Weg zur Betreuungsstätte des Kindes, sofern von Zuhause aus gearbeitet wird.
Mitbestimmung bei der An- und Abmeldepflicht
„Ordnungsverhalten“ ist betroffen
Der Arbeitgeber betreibt deutschlandweit Kinos. In einem seiner Häuser wies er die Arbeitnehmer an, sich zu Beginn und Ende jeder Schicht beim Vorgesetzten zusätzlich zur elektronischen Zeiterfassung persönlich an- und abzumelden. Zur Begründung für diese Maßnahme verwies der Arbeitgeber darauf, dass nur so die exakte Anzahl der Arbeitnehmer an die Feuerwehr im Brandfall mitgeteilt werden könne. Den im Betrieb gewählten Betriebsrat hat er allerdings zuvor nicht beteiligt.
Der Betriebsrat hat den Arbeitgeber auf seine Pflicht zur Mitbestimmung dann schriftlich hingewiesen. Hiervon war der Arbeitgeber allerdings nicht überzeugt. Die von ihm angeordnete Meldepflicht konkretisiere lediglich die Pflichten der Arbeitnehmer aus dem Arbeitsvertrag. Das Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb werde hingegen nicht geregelt. Es gehe bei der Anweisung nicht um die Kontrolle von Pünktlichkeit, sondern um die Sicherheit der Arbeitnehmer im Falle einer Evakuierung.
Da sich der Arbeitgeber weiterhin weigerte, den Betriebsrat ordnungsgemäß zu beteiligen, haben ihn die Arbeitnehmervertreter zum Unterlassen aufgefordert und sind vor das Arbeitsgericht gezogen.
Meldepflicht betrifft Ordnungsverhalten
Das Arbeitsgericht hat sich der Auffassung des Betriebsrats angeschlossen: Der Arbeitgeber wurde angehalten es zu unterlassen, die Arbeitnehmer anzuweisen sich täglichen beim Vorgesetzten persönlich an- und abzumelden.
Durch die Weisung des Arbeitgebers ist überwiegend das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer im Betrieb berührt und nicht bloß das Arbeitsverhalten. Der Arbeitgeber wollte das betriebliche Zusammenleben der Arbeitnehmer untereinander im Betrieb regeln. Sein Ziel war es, im Brandfall über Informationen zu verfügen, die er nicht durch die ohnehin genutzte Zeiterfassung bekommen hätte. Das Arbeitsgericht hat klargestellt, dass diese Meldepflicht nichts mit dem Inhalt der Arbeitspflicht zu tun hat.
Mitbestimmung oder Direktionsrecht
Nach der für die innerbetriebliche Beteiligung zentralen Vorschrift des § 87 Abs. 1 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen in »Fragen der Ordnung des Betriebes und des Verhaltens der Arbeitnehmer«. Die Rechtsprechung unterscheidet dabei zwischen dem »Ordnungsverhalten« und dem »Arbeitsverhalten«.
Letzteres betrifft mitbestimmungsfreie Maßnahmen des Arbeitgebers, die sich auf das Arbeits- und Leistungsverhalten der Arbeitnehmer auch in Bezug auf das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer/Arbeitgeber beziehen. Dies ist dann gegeben, wenn der Arbeitgeber die konkreten Pflichten aus dem Arbeitsvertrag näher bestimmt und damit sein einseitiges Direktionsrecht ausübt.
Davon abzugrenzen sind allgemeine Regelungen des Arbeitgebers, die nichts mit dem Inhalt der von den Arbeitnehmern zu erbringenden Arbeitsleistung zu tun haben. Sie beziehen sich auf die Sicherung des ungestörten Arbeitsablaufs sowie die Gestaltung des Zusammenlebens der Arbeitnehmer im Betrieb. Dieses sogenannte Ordnungsverhalten unterliegt der zwingenden Mitbestimmung durch den Betriebsrat.
Tipps für die Praxis
Die vom Arbeitgeber vorgetragenen Gründe für eine persönliche Meldepflicht als Voraussetzung für eine effektive Arbeit der Feuerwehr mögen nachvollziehbar sein. Allerdings hätte er von Anfang an den Betriebsrat in seine Überlegungen einbeziehen müssen. Schließlich wurden im Kino die Arbeitszeiten bereits elektronisch erfasst und aus diesen Daten hätte die jeweilige Anwesenheit der Arbeitnehmer im Brandfall ebenso abgelesen werden können.
In der betrieblichen Praxis gehen Arbeitgeber regelmäßig davon aus, dass ihre Anweisungen vom Direktionsrecht gedeckt sind und der Betriebsrat nicht zu beteiligen ist. Allerdings lohnt sich ein genauerer Blick darauf, ob sich die Maßnahmen auf die Abläufe im gesamten Betrieb beziehen.
Sollte der Arbeitgeber auf seiner Meinung beharren und keine Betriebsvereinbarung zustande kommen, so ist ein Verfahren vor der Einigungsstelle einzuleiten. Hierbei unterstützen die Gewerkschaften durch den Rechtsschutz. Dies gilt im Übrigen auch für einen Prozess beim Arbeitsgericht. Dadurch kann der Arbeitgeber gezwungen werden, seine rechtswidrige Anordnung zu unterlassen (§ 23 Abs. 3 BetrVG).
Erfassung der Arbeitszeit
Neben der Ordnung des Betriebes, hat der Betriebsrat auch ein Recht zur Mitbestimmung bei der Erfassung der Arbeitszeit. Vor allem im Anschluss an die Entscheidung des EuGH vom 14.05.2019 dürfte dieses Thema in Betrieben ohne Regelungen in naher Zukunft relevant werden. Denn nach dem Urteil sind Arbeitgeber verpflichtet, sämtliche Arbeitszeiten aller Arbeitnehmer genau zu dokumentieren. Für die praktische Umsetzung gibt es keine klaren Vorgaben. Betriebsräte sollten bei der Umsetzung die Gegebenheiten im Betrieb im Auge haben und auf praktikable Lösungen hinwirken. Ziel ist es, jedem Arbeitnehmer Einblick in seine genauen Arbeitszeiten zu gewährleisten. Die ersten Schritte in diese Richtung können schon im nächsten Monatsgespräch angegangen werden (Landesarbeitsgericht Nürnberg, 20.12.2018, 5 TaBV 61/17).
Kein Verzicht auf innerbetriebliche Ausschreibung
Einmal mehr: Klarstellung durch die Arbeitsgerichte
Die auf die Unterlassung einer gemäß § 93 BetrVG erforderlichen Ausschreibung gestützte Verweigerung der Zustimmung des Betriebsrates nach § 99 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG ist nicht als rechtsmissbräuchlich anzusehen, wenn nicht mit internen Bewerbern zu rechnen ist. Auch die arbeitgeberseitige Argumentation, dass nur ein externer Bewerber die erforderliche Qualifikation in Gestalt von Objektivität, Neutralität, Distanz und vor allem Unabhängigkeit zu und von den betroffenen Arbeitnehmern gewährleiste, gibt keine Veranlassung, auf eine interne Ausschreibung von vornherein zu verzichten.
Der Sachverhalt:
Die Antragstellerin (Arbeitgeberin) betreibt ein Lungenzentrum am Universitätsklinikum F., dessen 100-prozentige Tochter sie ist. Die Arbeitgeberin ist konzernrechtlich verbunden mit dem Universitätsklinikum F. und verfügt über vier Operationssäle. Am 15.02.2018 schloss sie mit dem Universitätsklinikum F. einen Vertrag über die dauerhafte konzerninterne Überlassung des am Universitätsklinikum F. langjährig tätigen OP-Managers G. nach Bedarf für maximal durchschnittlich acht Stunden pro Woche. Die Arbeitgeberin hatte diese Stelle nicht intern ausgeschrieben, obgleich der Betriebsrat zu einem früheren Zeitpunkt die interne Ausschreibung sämtlicher zu besetzenden Stellen nach § 93 BetrVG verlangt hatte.
Die Arbeitgeberin unterrichtete den Betriebsrat über die geplante Einstellung nach § 99 BetrVG und beantragte dessen Zustimmung. Man erhoffe sich eine strategische Optimierung des OP-Managements. Ihre vier OP-Säle seien regelmäßig nicht optimal ausgelastet, da von der Belegungsplanung vielfach kurzfristig und ohne Not abgewichen werde. Der externe OP-Manager werde unmittelbar der Geschäftsführung unterstellt und gegenüber sämtlichen ihrer Arbeitnehmer, mit denen eine Zusammenarbeit im Rahmen der OP-Planung erforderlich sei, mit der erforderlichen Kompetenz ausgestattet. Speziell der Einsatz eines externen OP-Managers solle zu einer signifikanten Reduzierung der bisher vielfachen Änderungen an den OP-Plänen führen.
Zustimmungsverweigerung durch den Betriebsrat
Der Betriebsrat verweigerte die Zustimmung zur geplanten Einstellung. Er berief sich auf insgesamt sieben Punkte, von denen schon im erstinstanzlichen Verfahren zuletzt nur noch die ausgebliebene interne Ausschreibung strittig blieb. Die Arbeitgeberin unterrichtete den Betriebsrat schließlich über die vorläufige Einstellung, wobei sie auf die bisherige mangelhafte OP-Auslastung und die drohenden Nachteile auf Seiten der Arbeitnehmer verwies; der Betriebsrat bestritt die dringende Erforderlichkeit und berief sich auf die im Zustimmungsverweigerungsschreiben angeführten Gründe. Die Arbeitgeberin leitete daraufhin das Zustimmungsersetzungsverfahren ein. Das Landesarbeitsgericht gab dem Betriebsrat recht.
Aus den Gründen
Die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zur Einstellung des OP-Managers G. war nicht gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG zu ersetzen. Der Betriebsrat hat seine Zustimmung mit Recht unter Berufung auf die nach dem übereinstimmenden Vortrag beider Beteiligten nach § 93 BetrVG erforderliche aber ebenso unstreitig nicht durchgeführte Ausschreibung der Stelle des OP-Managers verweigert. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichtes war eine solche Ausschreibung nicht ausnahmsweise entbehrlich. Der Widerspruch war auch nicht rechtsmissbräuchlich.
In der Literatur wird die Meinung vertreten, ein Widerspruch sei rechtsmissbräuchlich und damit unzulässig, wenn von vornherein feststehe, dass kein Arbeitnehmer des Betriebes für die ausgeschriebene Stelle in Betracht komme. Nach der in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Gegenauffassung ist der Widerspruch des Betriebsrats hingegen regelmäßig selbst dann nicht als rechtsmissbräuchlich anzusehen, wenn nicht mit internen Bewerbern zu rechnen ist. Das Beschwerdegericht schließt sich der letztgenannten Auffassung an.
Zum einen trägt die generelle Überlegung, dass die Ausschreibung gerade dazu dienen soll, herauszufinden, ob und ggf. welche anderen Arbeitnehmer sich bewerben werden, während zum anderen die Ausschreibung der Stelle dem Arbeitgeber regelmäßig keinen großen Aufwand abverlangt. Der gegebene Fall gibt auch und gerade unter Berücksichtigung der arbeitgeberseitigen Argumentation, dass nur ein externer Bewerber die erforderliche Qualifikation in Gestalt von Objektivität, Neutralität, Distanz und vor allem Unabhängigkeit zu und von den betroffenen Arbeitnehmern einschließlich der leitenden Ärzte gewährleiste, keine Veranlassung, auf eine interne Ausschreibung von vornherein zu verzichten (Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 12.04.2019, 10 TaBV 46/18).
Abmahnung gegen Betriebsratsmitglieder darf nicht in die Personalakte
Betriebsrat darf über Meinungsverschiedenheiten informieren
Der Arbeitgeber, eine der führenden Anbieter für Haushaltsgeräten in Deutschland, erteilte drei Betriebsratsmitgliedern jeweils eine Abmahnung. Hintergrund war ein Streit um die Prämienberechnung für Außendienstmitarbeiter und Telefonverkäufer. Der Betriebsrat informierte die Außendienstler per eMail, dass sie die erhöhten Zielvorgaben nicht hinnehmen müssten. Der Betriebsrat leitete deshalb ein Verfahren ein. Jeder Arbeitnehmer solle seinen individuellen Zielvorgaben widersprechen.
Der Arbeitgeber bekam hiervon Kenntnis und teilte jedem einzelnen Betriebsratsmitglied mit, dass er sie wegen dieser Aufforderung betriebsverfassungsrechtlich abmahne. Sie müssten mit der Einleitung eines Verfahrens nach § 23 Abs. 2 BetrVG bei weiteren Verstößen rechnen.
Die Abmahnungen wurden in die jeweiligen Personalakten aufgenommen. Dies wollten die Betriebsratsmitglieder nicht hinnehmen. Das Arbeitsgericht gab ihnen Recht. Abmahnungen nach BetrVG gehören – berechtigt oder nicht – niemals in die Personalakte des Betriebsratsmitgliedes.
Hintergrund: Betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung
Mit der arbeitsrechtlichen Abmahnung reagiert der Arbeitgeber auf Pflichtverstöße Einzelner im individuellen Arbeitsverhältnis. Dagegen betrifft die betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung das Betriebsratsgremium insgesamt oder einen Verstoß gegen die Pflichten als Betriebsratsmitglied.
Umstritten ist, ob eine betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung überhaupt zulässig ist. Bislang fehlt es an einer höchstrichterlichen Rechtsprechung. Teilweise wird vertreten, dass diese als milderes Mittel zulässig sein solle. Der Arbeitgeber solle den Betriebsrat oder seine Mitglieder zunächst mit einem Abmahnungsschreiben auf eine solche Pflichtverletzung hinweisen können. Ansonsten bliebe ihm nur, sofort einen Auflösungs- bzw. Ausschließungsantrag zu stellen (§ 23 BetrVG).
Das Arbeitsgericht Stuttgart und wohl auch große Teile der Literatur sehen aber schon kein kollektivrechtliches Abmahnungsrecht des Arbeitgebers. Eine Abmahnbefugnis für Pflichtverletzungen, die nach den Vorstellungen des Gesetzgebers nicht für eine Amtsenthebung ausreicht, stünde deshalb in Widerspruch zur gesetzlichen Wertung des § 78 BetrVG.
Klärung im Beschlussverfahren
Grundsätzlich kann eine arbeitsrechtliche Abmahnung z.B. aufgrund Fehlverhalten des Arbeitnehmers (z.B. Zuspätkommen, Schlechtleistungen usw.) nur im Rahmen des Urteilsverfahrens geltend gemacht werden. Dies gilt aber nun nach dem Urteil des Arbeitsgerichtes Stuttgart nicht für die betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung: Da diese das kollektivrechtliche Verhältnis betrifft, konnten die Betriebsratsmitglieder den Streit auch im Beschlussverfahren austragen. Dem steht nicht entgegen, dass die Betriebsratsmitglieder von den Abmahnungen neben ihrer kollektivrechtlichen Rechtsposition auch in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmer betroffen sind. Dies hat auch schon das Bundesarbeitsgericht bestätigt (Bundesarbeitsgericht, 09.09.2015, 7 ABR 69/13).
Betriebsrat darf über Streit mit dem Arbeitgeber informieren
Das Gericht entschied zudem, dass der Betriebsrat durch das Versenden der eMail nicht gegen betriebsverfassungsrechtliche Pflichten verstoßen hatte. Der Betriebsrat darf die Arbeitnehmer über Meinungsverschiedenheiten mit dem Arbeitgeber informieren und diesen seine rechtliche Auffassung darlegen (Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, 30.09.2008, 2 TaBV 25/08). Erhält der Betriebsrat im Rahmen seiner Überwachungsaufgabe (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG) Kenntnis von betriebsvereinbarungswidrigen Zuständen, kann er die Arbeitnehmer auch über ihre möglichen individuellen Ansprüche informieren. Ziel dabei ist, dass die Arbeitnehmer die Möglichkeit erhalten, sich rechtlich beraten zu lassen oder ihre Rechte einzuklagen (Arbeitsgericht Stuttgart, 30.04.2019, 4 BV 251/18).
Betriebsrat darf „twittern“
Tweets nach Landesarbeitsgericht Niedersachsen erlaubt
Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat den Antrag des Arbeitgebers abgelehnt. Der Betriebsrat übe hier eine zulässige Meinungsäußerung aus. Der Betriebsrat sei nicht darauf beschränkt, seine Meinung in bestimmten Räumlichkeiten zu äußern und könne selbst entscheiden, wann und bei welchen Gelegenheiten eine öffentliche Stellungnahme angebracht sei, so das Gericht (Landesarbeitsgericht Niedersachsen, 06.12.2018, 5 TaBV 107/17).
Zu beachten ist allerdings, dass die Grundsatzfrage zur Meinungsfreiheit eines Betriebsrates (als Gremium? der einzelnen Mitglieder?) noch in einem anderen Verfahren beim Bundesarbeitsgericht geklärt wird.
„Einstellungen“ in einer Matrix-Sturkur
Betriebsräte sehen sich zunehmend einer Unternehmensstruktur gegenübergestellt, die hinsichtlich der Vorgesetztenfunktionen nicht an den betrieblichen Grenzen halt macht. Vorgesetzte/Führungskräfte für die betrieblichen Arbeitnehmer können ebenso in einem anderen Betrieb oder Unternehmen, sogar im Ausland angesiedelt sein. Die Mitbestimmungsfragen hierzu stecken quasi noch in den Kinderschuhen, interessant ist hingegen, dass selbst das Bundesarbeitsgericht (BAG) jetzt eine erweiterte Zuständigkeit des Betriebsrates anerkannt hat.
BR-Beteiligung beim BEM ist zwingend
„Der Arbeitgeber ist bei der Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) zur Hinzuziehung des Betriebsrates verpflichtet, wenn der Arbeitnehmer damit einverstanden ist“, diesen Rechtssatz hat jetzt das Bundesarbeitsgericht (BAG) in der Entscheidung vom 17.04.2019 (7 AZR 292/17) aufgestellt.