Nachdem des BAG aber insoweit die Besonderheiten des Arbeitsverhältnisses betont, dürften die Auswirkungen auf das Arbeitrecht beschränkt bleiben. Das BAG führt in seinem Urteil dazu folgendes aus: „Wegen der Bedeutung des Rechts der Arbeitnehmer, auch im Arbeitsverhältnis ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ausüben zu dürfen, führt eine solche Abwägung im Ergebnis dazu, dass auch und gerade im Arbeitsverhältnis die Einwilligung der Arbeitnehmer der Schriftform bedarf. Nur dadurch kann verdeutlicht werden, dass die Einwilligung der Arbeitnehmer zur Veröffentlichung ihrer Bildnisse unabhängig von den jeweiligen Verpflichtungen aus dem eingegangenen Arbeitsverhältnis erfolgt und dass die Erteilung oder Verweigerung der Einwilligung für das Arbeitsverhältnis keine Folgen haben dürfen. Auch im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses können Arbeitnehmer sich grundsätzlich „frei entscheiden“, wie sie ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ausüben wollen.“ (Urteil vom 11.12.2014, Az.: 8 AZR 1010/13).
NewsLetter BETRIEBSRAT
Ersatzmitglieder dürfen anwesend sein – wenn alle einverstanden sind
Allerdings können BR-Mitglieder selbst darüber befinden, ob sie durch die Anwesenheit einer nicht teilnahmeberechtigten Person bei der Wahrnehmung ihres Mandats beeinträchtigt werden. Stimmt allerdings ein Mitglied dagegen, müssen Ersatzmitglieder draußen bleiben.
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 30. September 2014 – 1 ABR 32/13.
Betriebsänderung durch Einführung standardisierter Abläufe – LAG Schleswig-Holstein akzeptiert vorsorglichen Sozialplan
Der Betriebsrat hatte eine Einigungsstelle angerufen und diese hatte einen vorsorglichen Sozialplan aufgestellt, der jetzt vom Unternehmen in Frage gestellt wurde.
Das LAG: „Auch wenn zu Beginn der Einführung eines derartigen Verfahrens iSd § 111 Satz 3 Ziff. 5 BetrVG mangels Vorliegens von Auswertungsergebnissen noch keine konkreten wirtschaftlichen Nachteile für die betroffenen Beschäftigten geplant sind, ist ein Sozialplan in der Einigungsstelle erzwingbar. Das gilt jedenfalls nach Scheitern der Interessenausgleichsverhandlungen. Es reicht aus, dass die in dem erzwingbaren Sozialplan als ausgleichsfähig geregelten Nachteile gerade objektiv durch diese Betriebsänderung möglicherweise verursacht werden.“ LAG Schleswig-Holstein Beschluss v. 22.01.2014 – 3 TaBV 38/13
Anmerkung: Die Entscheidung zeigt die Notwendigkeit, bereits im Vorfeld der Einführung „neuer Fertigungsverfahren“ eine Absicherung über einen Sozialplan zu verhandeln.
Observierung durch Detektiv rechtswidrig
Der Geschäftsführer des Arbeitgebers beauftragte einen Detektiv mit der Observation der Klägerin. Diese erfolgte im Februar 2012 an vier Tagen mittels Videoaufnahmen. Beobachtet wurden ua. das Haus der Klägerin, sie und ihr Mann mit Hund vor dem Haus und der Besuch der Sekretärin in einem Waschsalon. Wegen der Rechtswidrigkeit der Videoaufnahmen forderte die Sekretärin 10.500 Euro Schmerzensgeld. Außerdem habe sie erhebliche psychische Beeinträchtigungen erlitten.
Das BAG kritisierte vor allem die heimliche Verletzung des Persönlichkeitsrechts, folgte aber dem Landesarbeitsgericht, das ein Schmerzensgeld nur in Höhe von 1.000,00 Euro festgesetzt hatte.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. Februar 2015 – 8 AZR 1007/13
Nahles will Werkverträge vom Zoll kontrollieren lassen
Dafür ist es erforderlich, die Prüftätigkeit der Kontroll- und Prüfinstanzen bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit zu konzentrieren, organisatorisch effektiver zu gestalten, zu erleichtern und im ausreichenden Umfang zu personalisieren, die Informations- und Unterrichtungsrechte des Betriebsrats sicherzustellen, zu konkretisieren und verdeckte Arbeitnehmerüberlassung zu sanktionieren.
Der vermeintliche Werkunternehmer und sein Auftraggeber dürfen auch bei Vorlage einer Verleiherlaubnis nicht besser gestellt sein, als derjenige, der unerlaubt Arbeitnehmerüberlassung betreibt. Der gesetzliche Arbeitsschutz für Werkvertragsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer muss sichergestellt werden. Zur Erleichterung der Prüftätigkeit von Behörden werden die wesentlichen durch die Rechtsprechung entwickelten Abgrenzungskriterien zwischen ordnungsgemäßen und missbräuchlichen Fremdpersonaleinsatz gesetzlich niedergelegt.“
Frau Nahles deutete in ihrer aktuellen Verlautbarung allerdings nur sehr zaghaft an, was die Praxis zu erwarten hat. Besonders betonte sie, dass der Missbrauch von Werkverträgen künftig durch verschärfte Kontrollen eingedämmt werden solle. Dies solle der Zoll übernehmen, kündigte Nahles an. Es gebe ganze Branchen, die Werkverträge benutzten, um sittenwidrige Löhne zu zahlen und unhaltbare Zustände für die Mitarbeiter durchzusetzen. Da Werkverträge über den Sachmittelhaushalt der Unternehmen liefen, wüssten Betriebsräte teilweise gar nicht Bescheid. Noch in diesem Jahr werde ein Gesetz für mehr Transparenz und gegen Missbrauch bei Leiharbeit und Werkverträgen erarbeitet, kündigte Nahles an. „Wir werden ein Paket machen, das überhaupt erst die Handhabe schafft, den klassischen Werkverträgen zu ihrem Recht zu verhelfen“, sagte Nahles. Sie machte damit deutlich, dass sie nichts gegen Werkverträge an sich plane, solange diese die Rechte der Arbeitnehmer nicht verletzten.
(Quelle: Beck-blog 15.03.2015)
Mindestlohnkontrolle bei Fremdfirma? und der Datenschutz …
Er tritt quasi als Bürge ein, wenn der von ihm beauftragte Nachunternehmer die Mindestarbeitsbedingungen nicht gewährt. Um Haftungsrisiken möglichst auszuschließen, muss der Auftraggeber also sicher sein, dass das MiLoG auch durch die eingeschalteten Dienstleister – und deren Subunternehmer – eingehalten wird.
Doch dies ist gar nicht so leicht wie es klingt. Denn aus Datenschutzsicht ist es unzulässig, dass der Auftraggeber sich von den verschiedenen Auftragnehmern die kompletten Gehaltsdaten einfach übermitteln lässt, um die Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns zu überprüfen. Unbedenklich ist allein die Übermittlung anonymisierter Angaben über geleistete Arbeitsstunden nebst gezahlten Entgelten oder eine stichprobenartige Kontrolle von geschwärzten Verdienstbescheinigungen.
Für mehr Transparenz und eine bessere Überprüfbarkeit soll § 17 MiLoG sorgen, der neue Aufzeichnungs- und Dokumentationspflichten bei der Arbeitszeit vorschreibt. Betriebsräten empfiehlt sich, genau auf deren Einhaltung zu achten. (Mehr lesen bei: Peter Gola, Mindestlohnkontrolle durch Auftraggeber, in: CuA 4/2015, S. 27 ff.) Quelle: „Arbeitsrecht im Betrieb“ – Praxiswissen
Betriebsrat kann Vorlage von Powerpoint-Präsentationen verlangen – wenn eine Betriebsänderung ansteht
Ein großes Kölner Medienhaus beabsichtigt Anfang 2015 eine Umstrukturierung des Betriebs durchzuführen. Das Medienhaus führte dem Betriebsrat und der Belegschaft eine Powerpoint-Präsentation vor und unterrichtete die Öffentlichkeit über ihr Vorhaben.
Der Betriebsrat hatte daraufhin die Herausgabe der Präsentation zur nochmaligen Prüfung beantragt. Dies hatte das Medienhaus verweigert, unter anderem unter Hinweis auf nicht bei ihm liegende Urheberrechte an der Power Point Präsentation.
Das Arbeitsgericht Köln gab dem Medienhaus in einem Eilverfahren auf, dem Betriebsrat als Teil der erforderlichen Unterlagen zur geplanten Umstrukturierung auch die Powerpoint-Präsentation vorzulegen.
Die Rechte des Betriebsrats im Vorfeld einer geplanten Betriebsänderung bestimmen sich nach §§ 111-113 BetrVG. Nach § 111 Satz 1 BetrVG muss der Arbeitgeber den Betriebsrat über geplante Betriebsänderungen rechtzeitig und umfassend unterrichten. Nach allgemeiner Ansicht muss der Unternehmer dem Betriebsrat alle erforderlichen Unterlagen zur Verfügung stellen
ArbG Köln, Beschluss vom 22.10.2014 – 15 BVGa 26/14
Betriebsrat hat Anspruch auf Vorlage aller Online-Bewerbungen – Alle Bewerberunterlagen müssen vorgelegt werden
Dem Betriebsrat eines Filialbetriebes in Flensburg wurde bekannt, dass sich über ein zentrales Online-Portal eine Mitarbeiterin (fälschlicherweise) für die Tätigkeit in einer süddeutschen Filiale beworben hatte, obwohl sie selbst in Flensburg wohnt. Ihre Bewerbung war jedoch im Recruitment-Center aussortiert worden. Der Betriebsrat verlangte nun, anlässlich einer Stellenbesetzung, dass ihm auch die „vorab aussortierten“ Bewerbungen vorgelegt werden müssen. Das Bundesarbeitsgericht gab dem Betriebsrat Recht. „Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat der Arbeitgeber die Unterlagen bezüglich aller Stellenbewerber – auch der nicht berücksichtigten oder abgelehnten – vorzulegen. Nur so kann der Betriebsrat seiner gesetzlichen Prüfungspflicht genügen .’Damit sind alle Stellenbewerber auch Beteiligte, über deren Person Auskunft zu geben ist. Auch derjenige, der sich auf eine Stelle bewirbt, deren Anforderungsprofil oder Qualifikationsvoraussetzungen er nicht erfüllt und damit – ggf. sogar offensichtlich oder objektiv – für die Stelle ungeeignet ist, bringt sein Interesse an dem ausgeschriebenen Arbeitsplatz zum Ausdruck. Es kommt für die Unterrichtungspflicht nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nicht darauf an, ob der für die Einstellungsentscheidung zuständige Store-Manager Kenntnis von der Bewerbung hat und ob ihm die Bewerbungsunterlagen zur Verfügung gestellt wurden. Es kommt vielmehr darauf au, dass dem Arbeitgeber im automatisierten Verfahren entsprechende Bewerbungen vorgelegen haben. (Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 21. Oktober 2014 – 1 ABR 10/13)
Geschlechterquote und Betriebsratswahl: Keine Korrektur im Nachrückverfahren
In dem konkreten Fall wurde darüber gestritten, ob das Übererfüllen der Geschlechterquote durch einen Nachrückvorgang zu einer nachträglichen Korrektur eines – dem Minderheitengeschlecht geschuldeten – Listensprungs führen kann. Nach der Regelung in § 15 BetrVG zog eine Arbeitnehmerin (Geschlecht der Minderheit) in den Betriebsrat ein und „verdrängte“ dabei einen Bewerber, der im direkten Vergleich mehr Stimmen erzielt hatte.
Zu einem späteren Zeitpunkt schied ein (anderes) männliches Mitglied aus dem Betriebsrat aus und wurde im Nachrückverfahren durch eine Bewerberin ersetzt. Der Betriebsrat vertrat die Auffassung, dass die Minderheitenquote nunmehr übererfüllt sei. Die zunächst in den Betriebsrat eingezogene Bewerberin scheide aus dem Betriebsrat aus mit der Folge, dass der zunächst „verdrängte“ Bewerber Mitglied des Betriebsrats werde. Die Arbeitgeberin und die Arbeitnehmerin beantragten festzustellen, dass die Arbeitnehmerin Mitglied des Betriebsrats im Betrieb der Arbeitgeberin ist und dass der zunächst „verdrängte“ Bewerber nicht Mitglied des Betriebsrats im Betrieb geworden ist.
Das ArbG gab dem Antrag statt. Der Beschluss ist rechtskräftig.
Die Gründe: Die zunächst in den Betriebsrat eingezogene Bewerberin bleibt Mitglied des Betriebsrates und wird nicht durch den „verdrängten“ Bewerber ausgetauscht. Nach § 25 BetrVG rückt ein Ersatzmitglied nach, wenn ein Mitglied des Betriebsrats ausscheidet. Die Ersatzmitglieder werden unter Berücksichtigung des § 15 Abs. 2 BetrVG der Reihe nach aus den nichtgewählten Arbeitnehmern derjenigen Vorschlagslisten entnommen, denen die zu ersetzenden Mitglieder angehören. Erfolgte die Wahl nach den Grundsätzen der Verhältniswahl, so tritt an die Stelle des ausgeschiedenen oder zeitweilig verhinderten Mitglieds das dem gleichen Geschlecht angehörende Ersatzmitglied, das auf der Liste als nächster Vertreter vorgeschlagen ist, wenn dies zur Wahrung der Mindestquote des § 15 Abs. 2 erforderlich ist. Ansonsten folgt der nächste Vertreter auf der Liste ohne Hinblick auf das Geschlecht.
Die Auslegung der Norm ergibt, dass eine Übererfüllung der Minderheitengeschlechterquote infolge eines Nachrückvorgangs grundsätzlich unbeachtlich ist. Der Listensprung wird nicht nachträglich korrigiert. Daraus folgt, dass die Arbeitnehmerin ihr Mandat behält. Der Wortlaut des § 25 BetrVG ist insoweit eindeutig. Er eröffnet dem Betriebsrat keine Möglichkeit, das bekanntgegebene Wahlergebnis nachträglich bei einem Nachrückvorgang zu korrigieren. Er kann nur bei einem Nachrückvorgang zur Wahrung der Geschlechterquote eine andere nachrückende Person bezeichnen, § 25 Abs. 2 S. 1 BetrVG.
Aus § 15 Abs. 2 BetrVG folgt kein abweichendes Auslegungsergebnis: Die auch für das Nachrücken maßgebliche Regelung in § 15 Abs. 2 BetrVG regelt allein eine Mindestquote. Die Vorschrift stellt keine Ermächtigung dafür dar, einen Listensprung nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses zu korrigieren, etwa weil das Nachrücken eines Betriebsratsmitglieds des Minderheitengeschlechts die Quote erfüllt. (ArbG Köln 12.11.2014, 17 BV 296/14)
Whistleblowing einmal andersherum – Strafanzeigen gegen Arbeitnehmer setzen innerbetrieblichen Klärungsversuch voraus
In dem Fall ging es um einen Fahrer, der in einem Werttransportunternehmen beschäftigt war. Er hatte einen Geldschein eines Kunden zur Überprüfung seiner Echtheit der Polizei übergeben. Nach Rückerhalt des Geldscheins gab er diesen in einer Filiale der Arbeitgeberin ab, was allerdings nicht quittiert wurde.
Als der Kunde später nach dem Verbleib des Geldscheins fragte und der Vorgang nicht nachvollzogen werden konnte, erstattete die Beklagte Strafanzeige gegen den zwischenzeitlich aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschiedenen Kläger, ohne diesen hierzu zu befragen.
Nach Aufklärung des Sachverhalts stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren ein. Der Kläger hatte einen Rechtsanwalt mit der Vertretung seiner Interessen beauftragt und verlangte von der Beklagten die Erstattung der Kosten. Das Arbeitsgericht gab seiner hierauf gerichteten Klage statt.
Das Gericht: Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung seiner Anwaltskosten.
Zwar darf jemand, der gutgläubig eine Strafanzeige erstattet, nicht mit dem Risiko eines Schadensersatzanspruchs belegt werden, wenn sich der Verdacht später nicht bestätigt. Dieser Grundsatz gilt im Arbeitsverhältnis allerdings nicht uneingeschränkt.
Im Arbeitsverhältnis bestehen nämlich besondere Fürsorgepflichten, nach denen die eine Partei der anderen nicht grundlos Nachteile zufügen darf. Danach müssen Arbeitgeber leicht vermeidbare Strafanzeigen gegen ihre Arbeitnehmer unterlassen. Die Beklagte hätte daher den Kläger vor Erstattung der Anzeige befragen und den Sachverhalt auf diese Weise ggf. aufklären müssen.
ArbG Köln 6.11.2014, 11 Ca 3817/14
Mobbing: Anspruch auf Schmerzensgeld verwirkt nicht
2015 Ausgabe 1 / Monat Februar
Der Kläger macht gegen seinen früheren Vorgesetzten einen Schmerzensgeldanspruch wegen Verletzung der Gesundheit und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Höhe von mindestens 10.000 Euro geltend. Er stützt sich dabei auf Vorfälle in den Jahren 2006 bis 2008, die er als Isolierung, Herabwürdigung und Schikane wertet. Der letzte Vorgang soll am 8. Februar 2008 stattgefunden haben. Der Kläger war 2007 an 52 Tagen, 2008 an 216 Tagen und 2009 durchgängig bis August arbeitsunfähig, unter anderem wegen Depression. Die Klage ging Ende Dezember 2010 bei Gericht ein. Das LAG hat einen möglichen Schmerzensgeldanspruch allein wegen Verwirkung abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hatte vor dem Achten Senat des BAG Erfolg. Sie führte zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das LAG. Eine Verwirkung, die nur unter ganz besonderen Umständen zu bejahen ist, scheidet hier aus. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist ein bloßes Zuwarten nicht als „treuwidrig“ anzusehen. Ein Unterlassen begründet nur dann ein Umstandsmoment, wenn aufgrund zusätzlicher besonderer Umstände eine Pflicht zur zeitnahen Geltendmachung besteht. In der vorzunehmenden Gesamtabwägung darf nicht auf eventuelle Beweisschwierigkeiten auf Seiten des Anspruchsgegners abgestellt werden. Das durch Richterrecht geschaffene Institut der Verwirkung darf in seiner Anwendung nicht dazu führen, dass die gesetzliche Verjährung unterlaufen wird. Das LAG wird nunmehr zu prüfen haben, ob tatsächlich ein Mobbinggeschehen festzustellen ist. (BAG, Urteil vom 11. Dezember 2014 – 8 AZR 838/13)
Abstimmung im Betriebsrat – Wer schweigt stimmt zu
2015 Ausgabe 1 / Monat Februar
Diese „Zählweise“ wurde von der Minderheit im Gremium angefochten und das Gericht musste entscheiden. Das Gericht stellte klar: „Will ein Betriebsratsmitglied nicht teilnehmen, auch nicht in Form einer Stimmenthaltung, muss er seine Nichtteilnahme ausdrücklich in der Sitzung erklären. Im Zweifelsfall ist der Sitzungsleiter gehalten durch Nachfrage zu klären, ob Stimmenthaltung oder Nichtteilnahme eines Betriebsratsmitglieds vorliegt. Lässt sich keine Klärung herbeiführen, ist von einer Stimmenthaltung auszugehen. Danach kommt auch ein beredtes Schweigen bzw. schlüssiges Verhalten als Form der Zustimmung oder der Ablehnung eines Antrags in Betracht, so etwa dann, wenn der Sitzungsleiter zuerst die Nein-Stimmen und die Enthaltungen abfragt und zählt und dann die Differenz zwischen Nein-Stimmen und Enthaltungen einerseits und der Zahl der anwesenden Betriebsmitglieder andererseits ermittelt und dies auch verlautbart.“
Wie viele (rechnerische) Ja-Stimmen dies ergeben würde, sei übrigens aus der Zahl der Anwesenden – laut Protokoll – zu ermitteln. Im Sitzungsprotokoll war vermerkt worden, wie viel Betriebsratsmitglieder zu Beginn der Betriebsratssitzung im Sitzungssaal anwesend waren und welche konkreten – namentlich benannten – Betriebsratsmitglieder danach vor und nach welchen Beschlussfassungen den Sitzungssaal verlassen oder ihn (wieder) betreten hatten. Deshalb war klar, wie viel Ja-Stimmen für die Feststellung der Mehrheit erforderlich waren. (LAG Baden -Württemberg, Beschluss vom 12. März 2014 – 21 TaBV 6/13)
Mindestentgelt auch für Bereitschaftsdienst – Entscheidung wirkt sich auf Mindestlohn aus
2015 Ausgabe 1 / Monat Februar
Die Klägerin des Verfahrens war bei einem privaten Pflegedienst als Pflegehelferin gegen ein Bruttomonatsentgelt von 1.685,85 Euro beschäftigt. Zu ihren Aufgaben gehörte unter anderem die Pflege und Betreuung von zwei Schwestern einer Katholischen Schwesternschaft, die beide an Demenz leiden und an den Rollstuhl gebunden sind. Neben den eigentlichen Pflegeleistungen oblagen der Klägerin auch Tätigkeiten im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung (Zubereiten von Frühstück und Abendessen, Wäschewechseln und -waschen). Die Klägerin arbeitete in zweiwöchigen Rund-um-die-Uhr-Diensten, während derer sie verpflichtet war, an der Pflegestelle anwesend zu sein. Sie bewohnte in den Arbeitsphasen im Haus der Schwesternschaft ein Zimmer in unmittelbarer Nähe zu den zu betreuenden Schwestern. Diese nahmen täglich von 11:45 bis 12:45 Uhr am gemeinsamen Mittagessen der Schwesternschaft und von 17:50 bis 18:50 Uhr am Gottesdienst teil.
Mindestentgelt für jede Form von Arbeit
Mit ihrer Klage forderte sie für die Monate August bis Oktober 2010 die Nachzahlung von insgesamt 2.198,59 Euro brutto und machte geltend, das Mindestentgelt von damals 8,50 Euro je Stunde nach § 2 Abs. 1 PflegeArbbV vom 15. Juli 2010 sei für jede Form der Arbeit zu zahlen. Der Pflegedienst wendete ein, die Klägerin habe nicht 24 Stunden am Tag gearbeitet. Das Mindestentgelt nach der PflegeArbbV sei nicht für Bereitschaftsdienst zu zahlen. Für diesen könne arbeitsvertraglich eine geringere Vergütung vereinbart werden. Das ArbG hatte die Klage überwiegend abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das LAG der Klage auf der Basis von 22 mit dem Mindestentgelt zu vergütenden Stunden je Arbeitstag im Rund-um-die-Uhr-Dienst stattgegeben. Die Zeiten des Mittagessens und der Teilnahme am Gottesdienst hat das Landesarbeitsgericht als nicht zu vergütende Pausen gewertet.
Die Revision des Pflegedienstes blieb vor dem BAG erfolglos. Das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV sei nämlich „je Stunde“ festgelegt und knüpft damit an die vergütungspflichtige Arbeitszeit an. Dazu gehören nicht nur die Vollarbeit, sondern auch Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst. Während beider muss sich der Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort bereithalten, um im Bedarfsfall zu arbeiten.
Zwar kann dafür ein geringeres Entgelt als für Vollarbeit bestimmt werden. Von dieser Möglichkeit hat der Verordnungsgeber im Bereich der Pflege aber keinen Gebrauch gemacht. Deshalb sind arbeitsvertragliche Vereinbarungen, die für Bereitschaftsdienst in der Pflege ein geringeres als das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV vorsehen, unwirksam. (BAG, Urteil vom 19. November 2014)
Lohnersatz im akuten Pflegefall
2015 Ausgabe 1 / Monat Februar
Arbeitnehmer, die in einer akut aufgetretenen Pflegesituation die Versorgung eines Angehörigen organisieren oder sicherstellen müssen, können unabhängig von der Arbeitnehmerzahl ihres Arbeitgebers bis zu zehn Tagen der Arbeit fernbleiben. Das sieht die Neuregelung in § 2 Abs. 1 Pflegezeitgesetz vor. Voraussetzung ist, dass sich die Pflegebedürftigkeit plötzlich und unerwartet ergibt bzw. gravierend verändert hat und keine andere Person die erforderliche Pflege bzw. die Organisation die Pflege erbringen kann oder erbringen will. Eine Zustimmung seitens des Arbeitgebers ist nicht erforderlich. Dem Arbeitgeber muss die Verhinderung sowie deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitgeteilt werden (§ 2 Abs. 2 S. 1 PflegeZG). Eine Wartezeit gibt es für den Arbeitnehmer nicht. Das heißt, dass ein Arbeitnehmer bereits vom ersten Arbeitstag an von diesen Rechten Gebrauch machen kann. Der Arbeitgeber kann eine ärztliche Bescheinigung über die Pflegebedürftigkeit des nahen Angehörigen und die Erforderlichkeit der notwendigen Maßnahmen verlangen (§ 2 Abs. 2 S. 2 PflegeZG).
In der Zeit der kurzfristigen Arbeitsverhinderung im akuten Pflegefall besteht Anspruch auf Lohnersatzleistung, das sogenannte Pflegeunterstützungsgeld. Dieses ist in Anlehnung an das Kinderkrankengeld geregelt und beträgt 70 % des Bruttoentgelts, maximal 90 % des Nettoverdienstes.
Eine vollständige oder teilweise Freistellung zur Pflege ist bis zu sechs Monaten möglich (bei Arbeitgebern mit mehr als 15 Arbeitnehmern), wenn Angehörige in häuslicher Umgebung zu pflegen sind. Den Anspruch haben Voll- und Teilzeitbeschäftigte, Minijobber und befristet Beschäftigte und Auszubildende. Eine Wartezeit gibt es nicht, es ist aber auch keine Entgeltfortzahlung vorgesehen.
Anspruch auf zinsloses Darlehen
Neu eingeführt wurde ein Anspruch der Arbeitnehmer auf ein zinsloses Darlehen des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben, welches den Einkommensausfall teilweise abfedern soll.
Neu: Familienpflegezeitgesetz
Mit dem sogenannten Familienpflegezeitgesetz ist eine Teilfreistellung zur Pflege bis zu 24 Monaten möglich (bei Arbeitgebern mit mehr als 25 Arbeitnehmern). Es muss während der Teilzeit zwingend mindestens 15 Stunden wöchentlich gearbeitet werden (Pflegezeit und Familienpflegezeit werden jedoch zusammengerechnet). Die Pflegebedürftigkeit des nahen Angehörigen ist – ähnlich wie bei der Pflegezeit – durch eine entsprechende Bescheinigung nachzuweisen. Auch hierfür ist ein Darlehen vorgesehen. Das Darlehen gewährt das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben. Das Darlehen muss im Anschluss an die Freistellung innerhalb von 48 Monaten zurückgezahlt werden.
Telearbeit – Widerruf ist „Versetzung“
2014 Ausgabe 6 / Monat Dezember
Der Kläger war bei einer überregional tätigen Bank, zuletzt als Firmenkundenbetreuer tätig. Die Parteien vereinbarten im Jahr 2005 alternierende Telearbeit. Ausweislich dieser Vereinbarung war der Kläger zu mindestens 40% an der häuslichen Arbeitsstätte tätig. Die betriebliche Arbeitsstätte war die Niederlassung der Bank, die je nach Verkehrsweg 70 bis 90 km vom Wohnort des Klägers entfernt lag. In der Vereinbarung zur Telearbeit hieß es, dass ein Rechtsanspruch auf einen alternierenden Telearbeitsplatz nicht begründet wird. Weiter war vereinbart, dass die häusliche Arbeitsstätte von beiden Parteien mit einer Ankündigungsfrist von vier Wochen aufgegeben werden kann. Nachdem die Parteien im Herbst 2013 erfolglos über die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses verhandelt hatten, kündigte die Beklagte die Vereinbarung der Telearbeit. Dabei beteiligte sie den Betriebsrat nicht.
Das LAG stellte hauptsächlich darauf ab, ein Widerruf müsse auch die Interessen des Arbeitnehmers berücksichtigen. Außerdem sei der Betriebsrat zu hören gewesen, weil die Einbindung des Arbeitnehmers in den Betriebsablauf und die Aufgabenerfüllung bei teilweiser Telearbeit eine völlig andere ist, als ohne Telearbeit. Die Entscheidung ist nicht endgültig, Revision zum BAG wurde zugelassen. (LAG Düsseldorf, 10.09.2014, 12 Sa 505/14)
Spielsüchtiger Arbeitnehmer kündbar? … nach insg. 33 Kündigungen
2014 Ausgabe 6 / Monat Dezember
Die insgesamt veruntreute Summe beläuft sich auf mehr als 100.000 Euro. Deshalb die Kündigungen.
Der Arbeitnehmer hat die ihm zur Last gelegten Taten ein-geräumt, aber die Ansicht vertreten, die Gemeinde habe ihm gleichwohl nicht kündigen dürfen. Aufgrund seiner Spielsucht fehle ihm die Impuls- und Steuerungsfähigkeit, so dass ihm die Handlungen nicht vorwerfbar seien. Entsprechend einer bei ihr geltenden „Dienstvereinbarung Sucht“ sei die Gemeinde verpflichtet gewesen, vor dem Ausspruch einer Kündigung zunächst ein abgestuftes Verfahren, bestehend aus Erstgespräch, Zweitgespräch, Ermahnung, 1. Abmahnung und weiterer Abmahnung, zu durchlaufen. Die Gemeinde, für die seine Spielsucht offensichtlich gewesen sei, habe ihre Kontroll- und Überwachungspflichten verletzt.
Das ArbG Düsseldorf (2 Ca 3420/14) hat die gegen die Kündigungen gerichtete Klage abgewiesen und bereits die erste Kündigung als wirksam erachtet.
Nach Auffassung des ArbG ist die „Dienstvereinbarung Sucht“ nicht einschlägig. Die Auslegung der Vereinbarung ergebe, dass das darin geregelte abgestufte Sanktionsverfahren Pflichtverletzungen wie z.B. Verspätungen oder qualitative Fehlleistungen betreffe, die auf typischen, suchtbedingten Ausfallerscheinungen beruhten, nicht aber strafbare Handlungen.
Winterreifenwechsel – keine Arbeitszeit über 10 Std. – Ausnahmen nicht möglich
2014 Ausgabe 6 / Monat Dezember
„Ausgangspunkt ist die Zielsetzung des § 1 ArbZG, der Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer. Relevant für die Auslegung sind auch die unionsrechtlichen Vorgaben nach Art. 17, 18 der RL 2003/88/EG. Danach müssen Abweichungen von den allgemeinen Arbeitszeitregelungen auf das unbedingt Erforderliche begrenzt werden. Ausnahmsweise kann die zuständige Arbeitsschutzbehörde in außergewöhnlichen Fällen, insbesondere Notfällen die Arbeitszeitgrenzen verlängern, § 14 Abs. 1 ArbZG. Ein solcher Notfall lag im konkreten Fall aber nicht vor.
Die Leistungsgrenze für körperlich anstrengende Montagearbeiten mit Blick auf die Hand- und Arm-Vibrationsbedingungen durch die Schlagschrauber ist – nach Erkenntnissen der Berufsgenossenschaft – nach sieben Stunden erreicht.“ Es könnten – so das Gericht – auch andere organisatorische Maßnahmen, wie etwa Samstagsarbeit oder die Einstellung von Hilfskräften genutzt werden. Außerdem müsse erst eine Gefährdungsbeurteilung vorgenommen werden, die insbesondere auch die Auswirkungen von verlängerten Arbeitszeiten berücksichtigt. (VGH Mün-chen, 13.03.2014, 22 ZB 14.344)
Der lange Weg des Betriebsrats zur Toilette
2014 Ausgabe 6 / Monat Dezember
So das Hessische LAG in dem hier vorliegenden Eilverfahren, mit dem der Betriebsrat eines Frachtunternehmens am Flughafen Frankfurt mit etwa 95 Arbeitnehmern das versetzen der Tür zu seinem Büro verhindern wollte. Die Baumaßnahme, so der Betriebsrat, habe Auswirkungen auf die Toilettenbenutzung. Sie verlängere den Weg zur Damentoilette auf 200 m. Das sei dem weiblichen Ersatzmitglied des Betriebsrats nicht zumutbar. Nachdem das ArbG Frankfurt a.M. den Eilantrag zurückgewiesen hat, verfolgt der Betriebsrat sein Ziel weiter vor dem Hessischen LAG.
Nach Auffassung des Hessischen LAG stehe dem Betriebsrat für die Umbaumaßnahme kein Mitbestimmungsrecht zu. Auch eine Behinderung der Betriebsratsarbeit sei nicht erkennbar, insbesondere nicht durch einen verlängerten Weg zur Damentoilette. Der Betriebsrat habe zwar Anspruch auf angemessene Unterbringung. Diese sei aber auch bei versetzter Tür gewährleistet. Die Entscheidung ist rechtskräftig. (Hessisches LAG, 03.03.2014, 16 TABVGa 214/13)
Geldabheben ist kein Arbeitsunfall
2014 Ausgabe 6 / Monat Dezember
Die Berufsgenossenschaft lehnte die Anerkennung des Unfalles als Arbeitsunfall ab, da sich der Kläger zum Unfallzeitpunkt nicht auf dem versicherten Weg befunden habe. Der Arbeitsweg sei vielmehr durch die eigenwirtschaftliche Handlung des Geldabhebens unterbrochen worden. Dagegen wandte sich der Kläger mit seiner Klage und machte geltend, er habe das Bargeld für die von ihm als Kraftfahrer zu verauslagenden Spesen benötigt. In der Firma bestehe die Anweisung, Bargeld auf den Touren mitzuführen, sonst würden die Fahrer gegen arbeitsvertragliche Pflichten verstoßen. Die Fahrer müssten Gelder für Eintritt, Toilettennutzung, Essensversorgung sowie für die Durchführung von Kleinreparaturen zunächst verauslagen und sie nachträglich mit der Firma abrechnen. Diese Anweisung hat der Speditionsleiter des Arbeitgebers allerdings nicht bestätigt.
Das Geldabheben ist – ebenso wie beispielsweise die Nahrungsaufnahme – grundsätzlich als eigenwirtschaftliche Tätigkeit anzusehen, die nicht dem Versicherungsschutz der Gesetzlichen Unfallversicherung unterfällt. In der Reichsversicherungsordnung war dies übrigens noch anders geregelt.
Kettenrauchen widerlegt Vermutung der berufsbedingten Krebskrankheit
2014 Ausgabe 6 / Monat Dezember
Da dies ein 10-fach erhöhtes Lungenkrebsrisiko bedeute, liege eine alternative Krankheitsursache vor. (Hessische LSG, 23.08.2013, L 9 U 30/12 ZVW)